23. Kapitel

 

Zitronentörtchen, Schokoladentrüffel, Erdbeer-Käsekuchen, Rosinen-Scones, Blaubeermuffins, glasierter Karottenkuchen, Flapjacks, frisch gebackenes Shortbread und ja, kleine Schnapsgläser voll heißer, flüssiger, richtiger Schokolade. Kein Kakao. Schokolade. Wie in Tafel Schokolade.

Victoria hatte ihr den süßen Himmel versprochen, als sie heute früh in ihr Zimmer geplatzt war, um sie zum Besuch in diesem Cafe in Pitlochrys Highstreet abzuholen.

Zehn altmodische Tische standen darin herum und drei gemütliche Sofas. Und an allen saßen fröhliche, schwatzende, schmausende Leute, jung und alt, Einheimische und Touristen, alle ergötzten sich an den Köstlichkeiten dieses Cafes. Lea wünschte, sie hätte ihre Kamera dabei.

Zoom auf ein besonders schönes Paar voller, lachsrosa geschminkter Lippen, perfekt manikürte Fingernägel, die eine dunkelbraune Trüffelkugel an besagte, sich öffnende Lippen hoben ...

»Lea?«

Victoria wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, und Lea erwachte blinzelnd aus ihrer Versunkenheit.

Das perfekte Paar Lippen waren Helenas gewesen, wie sie jetzt erst bemerkte.

»Entschuldigt, ich bin heute ein bisschen zerstreut.«

Helena schob den Trüffel in ihren Mund und kaute.

»Hm, das ist interessant. Adam war heute Morgen auch ziemlich zerstreut. Muss an der Luft liegen ...«

Adam. Schon bei der Erwähnung seines Namens stieg ihr die Röte in die Wangen. Sie konnte ihn noch riechen, wie sie überrascht feststellte, ein würziger, männlicher Geruch, nicht stark, aber stark genug, dass sie ihn immer noch in der Nase hatte. Dabei hatte sie heute früh geduscht.

Und die Sachen, die sie anhatte, waren von Victoria geborgt. War sein Geruch in ihre Haut eingedrungen? Genug Hautkontakt hatten sie letzte Nacht ja gehabt...

Ein lautes Zeitungsrascheln riss sie aus ihrer Erstarrung.

Wieder blinzelte sie. Dann merkte sie, dass sowohl Helena als auch Victoria sie überrascht anstarrten.

»Was?«, fragte sie, ein wenig defensiver als beabsichtigt.

»Ach, nichts«, sagte Victoria. Ihr Grinsen reichte beinahe bis zu ihren Ohrläppchen.

»Hm«, sagte Helena, schon weit weniger erfreut. »Also, Lea, dann erzählen Sie doch mal was von sich.«

Täuschte sie sich, oder begann sich hier ein Verhör zu entwickeln? »Was denn?«, fragte sie abwehrend.

»Ja. Was Sie so machen. Wenn Sie nicht gerade die Rolle der Madame Foulard spielen.« Helena brach ein Stück von einem Shortbread ab und schob es in den Mund. Vor ihnen in der Mitte des Tisches stand eine überquellende Platte mit süßen Köstlichkeiten.

Das hatte Helena also schon gehört? »Ach, nichts weiter«, wehrte Lea ab.

»Aber Sie müssen doch irgendeine Arbeit haben, Lea«, warf Victoria ein, die soeben Marmelade auf ihr warmes Scone strich. »Für Ihre Geisteraustreibungen nehmen Sie ja kein Geld, sagten Sie.«

»Ach, unwichtige Jobs«, sagte sie ausweichend.

»Ah, da fällt mir was ein!«, rief Victoria mit glänzenden Augen, »Sie waren das ja im Rhubarb! Mit Marco Venetto. Er ist ein Star, Lea! Und er soll mächtig Erfolg bei den Frauen haben, wie man hört. Seine letzte Freundin war eine Prinzessin! Und er war mit Ihnen ... sind Sie zusammen?«

Lea wusste zwar, dass Victoria keinen bösen Knochen im Leib hatte, wünschte aber dennoch, die Frau hätte zur Abwechslung mal die Klappe gehalten. Auf Helenas Gesicht hatten sich dunkle Gewitterwolken zusammengebraut, womit sie noch mehr Ähnlichkeit mit ihrem Bruder hatte. Jetzt steckte sie wirklich in der Klemme. Wie kam sie da wieder raus?

»Marco und ich sind nur Freunde ...«

»Nur Freunde?«, unterbrach Helena. »Haben Sie denn viele reiche männliche Freunde?«

Es war klar, was damit angedeutet werden sollte, und wäre Lea ein wenig gelassener gewesen, sie hätte zugeben müssen, dass dieser Verdacht unter den gegebenen Umständen nicht ganz aus der Luft gegriffen war ... aber sie war nicht gelassen. Sie war stinksauer. Und sie fühlte sich in die Enge getrieben.

»Die habe ich tatsächlich, und zwar haufenweise. Marco ist bloß ein kleiner Fisch.«

Helenas Augen wurden kohlschwarz. Mit bebenden Nasenflügeln beugte sie sich über den Tisch. »Ich weiß nicht, welche Macht Sie da über meinen Bruder ausüben, aber eins lassen Sie sich gesagt sein: Wenn Sie ihn an der Nase rumfuhren, wenn es hier nur um Geld geht, dann kriegen Sie's mit mir zu tun! Verstanden?«

Das letzte Mal, als ein Vampir sie mit so kohlschwarzen Augen angesehen hatte, hatte sie sich selbst an einem gusseisernen Parktor ausgeknockt. Jetzt jedoch war sie überhaupt nicht eingeschüchtert. Sie war viel zu müde, um sich noch etwas draus zu machen. Helena wollte also die große Schwester spielen, die den kleinen Bruder vor einer Mitgiftjägerin beschützt? Na gut, sollte sie doch.

Lea ignorierte Victorias entsetzten Blick und griff sich stattdessen seelenruhig einen Trüffel. Sie schloss kurz die Augen und ließ sich die Schokolade auf der Zunge zergehen. Dann sah sie Helena wieder an.

»Ich verstehe sogar sehr gut. Sie kennen mich überhaupt nicht. Und trotzdem haben Sie beschlossen, dass ich eine kleine Goldschürferin bin und es auf Ihren Bruder abgesehen habe. Kristallklar.«

Helenas Augen nahmen wieder ihre normale Färbung an. Verwirrt lehnte sie sich zurück. »Adam hat recht. Sie reagieren wirklich nicht so, wie Sie sollten.«

Lea zuckte mit den Schultern. »Ich enttäusche Sie ja nur ungern, Helena, aber man hat auf mich geschossen, ich habe eine Frauenleiche gesehen, die auf ein Schwert aufgespießt worden war, und eine andere, die drei Männer stückchenweise ausgraben mussten. Und das alles innerhalb von nur drei Tagen. Gar nicht zu reden davon, dass immer noch eine Bande Killer hinter mir her ist und ich keine Ahnung habe, warum. Also, so furchterregend diese Schwarze-Augen-Nummer auch sein mag, die ihr Vampire abzieht, wenn ihr wütend werdet, im Moment hat sie einfach nicht die Wirkung, die sie an einem normalen Tag auf mich hätte. Sorry.«

Helena begann zu lachen und schüttelte den Kopf, während ihr Gelächter langsam zu einem leisen Gekicher verebbte. »Sie haben vermutlich recht; ich glaube, ich versuche es noch mal, wenn all das hier vorüber ist.«

»Oder auch nicht«, warf Victoria ein. Ihre Erleichterung über das Abwenden der Krise war unübersehbar. »Ich sehe nicht ein, wieso überhaupt mit Drohungen rumgeworfen werden muss. Wir sind doch alle erwachsene Menschen hier ... äh ... erwachsen, meine ich. Adam ist hundertdreißig, der fällt nicht so schnell auf eine ... ja, wie alt sind Sie eigentlich, Lea?«

»Neunundzwanzig«, antwortete Lea. »Aber ihr überseht zwei entscheidende Punkte.«

»Und die wären?«, Helena winkte auffordernd mit der Teekanne.

Lea legte die Hand über ihre Tasse, nein, sie wollte keinen Tee mehr. Ihr Blick fiel auf den Mann, der am Nebentisch saß. Warum starrte er sie so an? Komisch.

Wo war sie noch? Ach ja. »Also, zunächst einmal: Eure Gedächtnislöscher sind schon hierher unterwegs, und bald werde ich mich nicht mehr an Adam erinnern, geschweige denn ihm sein Geld abknöpfen können. Und zweitens: Adam weiß das ganz genau. Das mit der Gehirnwäsche, meine ich. Also vermute ich, ich bin für ihn nichts weiter als ein Flirt.«

»Ach komm, das weißt du doch gar nicht!«, sagte Victoria, der in ihrem Mitgefühl sogar das Du herausrutschte.

Sie wedelte mit ihrem gebutterten Scone herum. »Manche Männer tun nur so, als würde ihnen nichts an dir liegen, weil sie Angst haben, es zu zeigen.«

Lea griff nach ihrem Glas Wasser. Dabei fing sie den neugierigen Blick einer jungen Frau auf, die am anderen Ende des Raums auf einem der Sofas saß. Auch die starrte sie an. Was war heute bloß los?

»Und manche Männer tun so, als würde ihnen was an dir liegen, dabei bist du ihnen völlig egal«, murmelte Lea, die dabei an David denken musste.

»Und manche Männer haben Angst zu lieben«, seufzte Helena.

Wen sie damit meinte, wusste Lea nicht. Sie wollte gerade fragen, als plötzlich eine Zeitung laut klatschend auf ihrem Tisch landete, dass die Krümel nur so flogen. Lea zuckte zusammen.

»Grace, was soll das?« Victoria blickte stirnrunzelnd zu der jungen Frau auf, die sich wütend vor ihrem Tisch aufgepflanzt hatte.

Lea bürstete sich die Krümel vom Schoß. Was war jetzt schon wieder los mit dieser verwöhnten Zicke? Sie war ihr heute früh kurz beim Runterkommen begegnet. Victoria hatte sie freundlich gefragt, ob sie mit ihnen ins Cafe kommen wolle, aber Grace hatte abgelehnt. Sie habe Besseres zu tun, als in einem langweiligen Cafe rumzusitzen, hatte sie gesagt. Lea wünschte, sie hätte es sich nicht anders überlegt.

Grace deutete mit einem langen, lackierten Fingernagel auf die Zeitung. »Warum hast du mir nichts gesagt?

Wieso hast du mir das verschwiegen, Victoria? Kannst du dir nicht denken, dass mich das interessiert, wo ich doch Storms in the East im Zimmer hängen habe?«

Storms in the East? Lea beugte sich mit einem mulmigen Gefühl über die Zeitung. Es stand auf der dritten Seite, mit einem riesigen Bild von ihr, das die halbe Seite einnahm.

»Grace, wovon redest du?« Helena griff nach der Zeitung, und Lea war zu geschockt, um sie daran zu hindern.

Das Geheimnis, das sie sieben Jahre lang wie einen Schatz gehütet hatte, jetzt war es heraus.

Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
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